
1958 – 2018: 60 Jahre Chromolux, Zanders Firmengelände 2023
CHROMOLUX
Protokoll zur Handhabung der Arbeit
Der Name Chromolux ist unweigerlich mit der Stadt Bergisch Gladbach, seiner Papiertradition und der Firma Zanders verbunden. Es war eines der erfolgreichsten Produkte der örtlichen industriellen Fertigung, ein hochwertiges Papier mit stark glänzender Oberfläche. Besonderes Merkmal ist seine aussergewöhnlich luxuriöse Anmutung, welche seine papierene Herkunft fast verleugnet. Die Ähnlichkeit zum (glänzenden) Fotopapier ist frappierend: Auch hier ist die Papierstruktur durch eine hermetisch geschlossene, hochglänzende Oberfläche nicht mehr sichtbar. Der Name des Papiers könnte auf diese Wesensverwandtschaft hinweisen: „Lux“, lateinisch, steht für „Licht“.
Chromolux ist auch der Titel meiner Arbeit für das Kunstmuseum Villa Zanders.
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein leeres, weißes, 80g starkes Chromoluxpapier, das ich wie fotografisches Material behandele und – wie jede meiner Arbeiten – einem mechanischen Bearbeitungsprozess unterwerfe und erneut fotografiere. Dem leeren, glatten, makellosen Blatt füge ich erste leichte Knicke zu, es entstehen nach und nach tiefe Falten, Furchen bilden sich, reissen auf – bis sich schliesslich Fetzen absondern und das Blatt als Blatt unkenntlich wird. Jeder einzelne dieser Bearbeitungsschritte wurde fotografisch festgehalten und die Ergebnisse im Anschluss in einer Größe von 183 x 112 cm abgezogen. 77 realisierte Fotografien wurden dem Museum in einer Kiste übergeben.
Dies ist der Ausgangspunkt aber noch nicht das Ergebnis, nicht die fertige Arbeit. Die mit den Fotografien gefüllte Kiste bildet das Potential möglicher zukünftiger Präsentationen und ist mit der Verpflichtung verbunden, jede dieser fotografischen Blätter in ein Volumen zu überführen. Erst dann – nach der dreidimensionalen Umsetzung – ist die Arbeit vollendet. Wann und wie diese Fotografien ihrer Bestimmung zugeführt werden, entzieht sich meinem Einfluss und liegt in der Verantwortung der jeweiligen Museumsdirektor:innen / Kurator:innen. Ebenfalls die Entscheidung darüber, wieviele Bilder für eine Ausstellung / Präsentation verwendet werden; es kann sich um eines, mehrere oder sogar um alle Fotografien gleichzeitig handeln. Ausschlaggebend für die Wahl können u. a. die räumlichen Gegebenheiten, die kuratorische Absicht oder sonstige Anforderungen der Ausstellungssituation / Präsentation sein. Natürlich nicht zuletzt auch das Bewusstsein um die Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Fotografien. Mit dem letzten Blatt ist das Potential zukünftiger Realisierungen erschöpft. So entscheiden die jeweils Verantwortlichen, wie schnell bzw. wie langsam die Ressource aufgebraucht sein wird. Die Kiste selbst, als „Speicher“ des Werkes, kann natürlich ebenfalls zum Gegenstand einer Ausstellung werden.
Durch die Besonderheiten dieser Arbeit entstehen für das Museum Anforderungen bzw. Fragen, von denen ich einige – soweit sie jetzt schon erkennbar sind – nachfolgend aufzeigen möchte.
Ein unfertiges, nicht abgeschlossenes Werk wird erworben. Es ist eine Arbeit, die in die Zukunft gerichtet ist und deren Realisierung heute noch nicht vollständig beschrieben werden kann. Es handelt sich lediglich um ein Potential, das vielfache Möglichkeiten birgt. Daraus erfolgt die Frage nach der Autorenschaft. Es wird unweigerlich immer eine/n weitere/n Autor/ Autorin geben, welche/r die Arbeit vollendet und sie mitsigniert.
Ebenso stellt sich die Frage, was nach einer Ausstellung mit den nun vollendeten Arbeiten geschieht. Deren Möglichkeiten sich zwar in einer konkreten Form realisiert, doch gleichzeitig damit ihr Potential verwirkt hat. Natürlich können diese Arbeiten, wie jedes andere Kunstwerk auch, deponiert und konserviert werden. Doch – angesichts der räumlichen Situation des Museums – erscheint es illusorisch, alle verwirklichten Arbeiten als Volumen aufbewahren zu wollen. Eine Alternative hierzu wäre, die Arbeiten wieder in ihre ursprüngliche, flache Form zurück zu bringen. Da sie nun aber Spuren der Faltung, eventuell Knicke und Löcher aufweisen, stehen sie nicht mehr für zukünftige Realisierungen zur Verfügung. Sie haben – wie schon erwähnt – ihr Potential verwirkt und sind Relikte, Spuren ihrer Verwirklichung geworden. Handelt es sich hierbei noch um ein Kunstwerk? Könnten diese Relikte (Reliquien ?) erneut Gegenstand einer Ausstellung sein? Die grundsätzliche Frage nach dem, was „Kunst“ ist, schließt sich hier an. Wie verschieben sich die Grenzen von Kunst und wann (wenn überhaupt) hört ein Kunstwerk auf, Kunst zu sein?
Einen weiteren Aspekt – wenn auch nur als nachgeordneten Gedanken – möchte ich hier erwähnen, da er mein fotografisches Schaffen seit Anbeginn begleitet und der mir, der die Materialität der Fotografie in das Zentrum seiner Arbeit gesetzt hat, wichtig ist: Die Tatsache, dass Papier als Trägermaterial der Fotografie eine notwendige Voraussetzung ihrer Realisierung bildet, findet in ihrer üblichen Rezeption kaum Erwähnung. Einzig als negatives, störendes Element hat es Eingang in die Geschichte gefunden. Als William Henry Fox Talbot, Mitbegründer der Fotografie, seine Erfindung der Negativ-Positiv-Technik vorstellte, wurde er abgelehnt, weil seine auf Papier basierenden Fotografien gegenüber der stechend brillanten und scharfen Daguerreotypie nicht mithalten konnten – weil die allzu deutlich erkennbaren Papierfasern die Illusion störten. Stehen doch gerade diese Art von Störungen im Fokus meiner Arbeit.
Michael Wittassek, Mai 2023
Um die in ein Volumen gebrachte Fotografie in der beabsichtigten Form zu halten, kann es notwendig sein Hilfsmittel zu verwenden (Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, aber auch Aufhängevorrichtungen wie Drahtseile etc.)
6 Einzelansichten von 77 realisierten Fotografien, je 183 x 112 cm





